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Tolle Mummereien

Über Mumienmurmeln 01 von Laury Granier

 

Gleich anfangs ist die "Mummerei" zu der sich Laury Granier 02 bekennt, mit verführerischer Nostalgie geschmückt. Sein Jardin du Luxembourg hat die sanften und verblassenen Farben "des grünen Paradieses der Kinder, die sich liebten". Voll Rührung wird der anfangs der sechziger Jahre in Paris aufgewachsene Zuschauer die beschwörenden Figuren seiner schulfreien Nachmittage wiederfinden, diejenigen der Zuckerwatteverkäuferin, des Clochard, der den Vögeln Brotkrümchen gibt, des Karussels mit seinen Holzpferden. Und es fehlt nicht viel, so liesse er sich von diesem verblichenen, einhüllenden und melancholischen Zauber fesseln, den man dem Ballon Rouge von Albert Lamorisse zugesteht.

Doch das Staccato der Bilder, die durch Aufnahmen betont werden, die immer rascher aufeinander folgen, erlaubt uns nicht sich diesem lieblichen Vergnügen hinzugeben. Bei seiner Verklärung des Luxembourg geht es Laury Granier nicht um den diskreten Reiz der Erinnerungen, sondern eher um die gewaltige Welle von Traum und Wahnsinn. Carolyn Carlson ist nicht Julie Andrews. Und dieser geheimnisvolle Garten ist dazu bestimmt als Rahmen schmerzlicher Auftritte, rätselhafter Rituale wie wohltuender Halluzinationen zu dienen.

Wie in Träumen lässt sich die Handlung in eine elementare, abgerissene, aber schliesslich doch lineare Verkettung zusammenfassen: das heisst die Verfolgung, der Todeskampf, das Mumifizieren und die Auferstehung einer Ballerina. Wie in Träumen entfaltet sich die Handlung in einer Vielfalt von Details, im wie besessenen Vorhandensein von Gegenständen und Masken, deren Symbolik nur ungewiss bleiben kann, im unaufhörlichen Ballett bunter an Geheimnissen reicher Figuren. Wie in Träumen jedoch räumt die Geschichte dem Humor einen grossen Platz ein (der unbeschreibliche Jean Rouch als gelassener weiser König der Sandkästen), dem Skurillen (die Hetzjagd auf dem Karussel) und dem Wunderbaren (Pegasus, der im gestreckten Galopp über die Rasen des Champ de Mars fegt). Wie in Träumen liegt schliesslich der ganze Reichtum vor allem in der anregenden Macht der Bilder, die die Handlung hervorbringt.

Die esthetische Darstellung dieses traumhaften Unternehmens verleiht der Mumie eine ausserordentliche Stellung in der Geschichte des surrealistischen Films. Indem Laury Granier diese Verbindung übernimmt, nutzt er alle Möglichkeiten eines Flohmarkts aus, den ein Marcel Duchamp nicht verleugnet hätte. Zu schrullenhaften Gegenständen - riesigen Schlüsseln, bunten Drachen, Masken aus Himalaya oder den Anden kommen Vorführungen mancher hervorragender Spezialisten von unwahrscheinlichen Berufen (Yoyospieler, Hornbläser, Kunstreiterinnen und Akrobaten). Bei dieser Anhäufung gibt es aber nichts Grundloses, nichts Flaches, keinen Systemszwang. Einerseits trägt die Heiterkeit dieses Kunterbunts zur euphorischen Stimmung dieses Films bei. Andererseits wird durch die Virtuosität der Montage und durch die extreme Fluidität diesen Erscheinungen ihre wahre Würde verliehen. Die Montage schafft, gerade durch diesen hypnotischen Rythmus, Bilder von eigenartiger und aussergewöhnlichen Schönheit, wie die rote Fülle eines Gladiolenstrausses, der sich auf der Kupel der Observatoriums abhebt.

Um jedoch über das Wunderbare hinauszugehen und diesem Märchen, wie der Regisseur es wollte, gequältere Akkzente zu verleihen, bedurfte es noch etwas anderes. Keine formelle Forschung als solche vermochte unter den Bedingungen, die sich Laury Granier auferlegt hatte, einen Teil des Alptraums suggerieren, den sein Traum enthielt.

Deswegen ist die Mumie auch ein Tanzfilm, eine musikalische Tragödie, wie die ersten Bilder es zeigen: einige rasch aufeinander folgende Aufnahmen von Carolyn Carlson, glanzumflossen von einem elektrischen Licht, enthüllen sie bei ihren Tanzübungen, durch ihre Bewegungen ganz ihrer Kunst hingegeben . Einige Szenen des Films, die ergreifensten, indem sie die schicksalhaften Momente der Handlung betonen, gehören zu den schönsten dank der Improvisationen der Tänzerin. Es gelingt ihr, auch durch die Faszination der Musik, die Qualen ihrer Agonie und das religiöse Geheimnis ihrer Einbalsamierung zu suggerieren. So scheint die Mumie am Ende ihrer Fahrt während eines erschütternden Auferstehungstanzes jetzt frei von ihren Leintüchern den Bronzepferden des Carpeauxbrunnen im Jardin du Luxembourg die Huldigung einer heidnischen Priesterin zu erweisen.

Ein Traumfilm, ein Tanzfilm, ein Stummfilm. Wie in alten Filmen weisen Zwischentafeln auf die bedeutenden Momente in der Entwicklung der Erzählung hin und das in circa einem Dutzend Sprachen und fast ebenso vielen Alphabeten 03 (aber welches ist denn die Sprache unserer Träume?). Fest steht, dass Laury Graniers ganzes Streben darin besteht, seine Kamera in den Dienst seiner Erinnerungen und seiner Fantasie zu stellen, um die ersten Worte einer Weltsprache vorzuzeichnen. Und das eigentlich Paradoxale seines Films liegt gerade darin, dass er in gewissen Momenten diesem unerreichbaren Ziel nahekommt, nachdem er auf die herkömmlichen Regeln der Lesbarkeit verzichtet hat.

"Der Glaube geht so lange zum Leben, zum Prekärsten des Lebens, das heisst des realen Lebens, bis er bricht" 04.

Indem er auf so einen eitlen Glauben verzichtet hat, schafft es Laury Granier nach sieben Jahren harter Arbeit das Projekt seiner "tollen Mummerei" zu Enden zu führen. So gibt er sich der Phantasie hin, ohne sich um das rein Nützliche zu kümmern, sich dem Zwang der Filmproduktion und den Regeln der Drehbuchschulen zu unterwerfen. Breton hatte gefürchtet, dass diese Urphantasie, die nicht mehr vernachlässigt und irregeführt werden wollte, den Menschen schliesslich seinem dunklen Schicksal überliesse. Erleichtert stellen wir fest, dass das Mumienmurmeln einen hellglänzende Ausnahme bildet.

01 La momie à mi-mots: Drehbuch von Laury Granier und Michèle Finck.

02 Durch die Regieangaben am Ende des Films erfahren wir dass das Mumienmurmeln gerade eine "Mummerei" von Laury Granier ist ein bescheidenes Zugeständnis des Regisseurs oder viel mehr ein lustiges Spiel nach Boby Lapointe.

03 Wenn ich recht habe, hat bis jetzt nur Fritz Lang in Les trois Lumières verschiedene Schriften auf den Tafeln angewendet

04 André Breton, Erstes Manifest des Surrealismus, 1924.

 

Laurent Burin des Roziers in Turbulences Vidéo, Januar 1997

Übersetzung: Angèle Finck